Die Homöopathie, die Allöopathie
§52
Es giebt nur zwei Haupt-Curarten: diejenige welche all ihr Thun nur auf genaue Beobachtung der Natur, auf sorgfältige Versuche und reine Erfahrung gründet, die (vor mir nie geflissentlich angewendete) homöopathische und eine zweite, welche dieses nicht thut, die (heteropathische, oder) allöopathische. Jede steht der andern gerade entgegen und nur wer beide nicht kennt, kann sich dem Wahne hingeben, daß sie sich je einander nähern könnten oder wohl gar sich vereinigen ließen, kann sich gar so lächerlich machen, nach Gefallen der Kranken, bald homöopathisch, bald allöopathisch in seinen Curen zu verfahren; dieß ist verbrecherischer Verrath an der göttlichen Homöopathie zu nennen!
§53
Die wahren, sanften Heilungen geschehen bloß auf homöopathischem Wege, einem Wege, der, da wir ihn auch oben (§. 7-25) auf eine andere Weise, durch Erfahrungen und Schlüsse fanden, auch der unbestreitbar richtige ist, auf welchem man am gewissesten, schnellsten und dauerhaftesten zur Heilung der Krankheiten durch die Kunst gelangt, weil diese Heilart auf einem ewigen, untrüglichen Naturgesetze beruht. Die reine homöopathische Heilart ist der einzig richtige, der einzig durch Menschenkunst mögliche, geradeste Heilweg, so gewiß zwischen zwei gegebenen Punkten, nur eine einzige gerade Linie möglich ist.
§54
Die allöopathische Curart, welche mancherlei gegen die Krankheiten unternahm, doch stets nur das Ungehörige (alloia), war die, seit Menschen Gedenken, unter sehr verschiedenen Formen, die man Systeme nannte, herrschende. Jedes dieser, von Zeit zu Zeit auf einander folgenden, gar sehr von einander abweichenden Systeme, beehrte sich mit dem Namen: rationelle HeiIkunde *.
* Gleich als ob eine, bloß auf Beobachtung der Natur beruhende und einzig auf reine Versuche und Erfahrung zu gründende Wissenschaft, durch müßiges Grübeln und scholastisches Raisonniren gefunden werden könnte!
Jeder Erbauer eines dieser Systeme, hatte die hochmüthige Meinung von sich, er sei fähig, das innere Wesen des Lebens, wie des gesunden, so auch des kranken Menschen zu durchschauen und klar zu erkennen und ertheilte hienach die Verordnung, welche schädliche Materie **
** Denn bis auf die neuesten Zeiten suchte man das in Krankheiten zu Heilende in einer wegzuschaffenden Materie, da man sich nicht zum Begriffe von einer dynamischen (Anm. zu §. 11.) Wirkung der krankhaften Potenzen, so wie der Arzneien auf das Leben des thierischen Organisms zu erheben vermochte.
aus dem kranken Menschen und wie sie hinweg zu nehmen sei um ihn gesund zu machen; - alles nach leeren Vermuthungen und beliebigen Voraussetzungen, ohne die Natur redlich zu befragen und die Erfahrung vorurtheillos anzuhören. Man gab die Krankheiten für Zustände aus, die immer auf ziemlich gleiche Art wieder erschienen. Die meisten Systeme ertheilten daher ihren erdichteten Krankheits-Bildern Namen, und klassificirten sie, jedes System, anders. Den Arzneien wurden nach Vermuthungen Wirkungen zugeschrieben (s. die vielen Arzneimittellehren!) welche diese innormalen Zustände aufheben, d.i. heilen sollten ***.
*** Um das Maaß der Selbst-Verblendung zu überfüllen, wurden (recht gelehrt) stets mehrere, ja viele, verschiedene Arzneien in so genannten Recepten zusammen gemischt, auch oft, und in großen Gaben eingegeben, und so das theuere, leicht zerstörbare Menschen-Leben, vielfach unter den Händen dieser Verkehrten gefährdet, vorzüglich, da man auch Aderlaß, Brech- und Purgirmittel zur Hülfe nahm, so wie Ziehpflaster, Fontanelle, Haarseile, Beitzen und Brennen.
§55
Da aber bald nach Einführung eines jeden dieser Systeme und bei jeder dieser Cur-Methoden das Publicum sich überzeugte, wie bei deren genauer Befolgung die Leiden der Kranken sich nur noch vermehrten und erhöheten, so würde man schon längst diese allöopathischen Aerzte ganz verlassen haben, wenn nicht die palliative Erleichterung, die sie von Zeit zu Zeit durch einige empirisch aufgefundene Mittel (deren oft fast augenblickliche, schmeichelhafte Wirkung in die Augen fällt) dem Kranken zu verschaffen wußten, ihren Credit noch einigermaßen aufrecht erhalten hätte.
§56
Mit dieser palliativen (antipathischen, enantiopathischen) Methode, seit 17 Jahrhunderten, nach Galen's Lehre: contraria contrariis eingeführt, konnten die bisherigen Aerzte das Vertrauen des Kanken noch am gewissesten zu gewinnen hoffen, indem sie ihn mit fast augenblicklicher Besserung täuschten. Wie unhülfreich aber im Grunde und wie schädlich diese Behandlungs-Art (in nicht sehr schnell verlaufenden Krankheiten) ist, werden wir aus Folgendem ersehen. Zwar ist sie noch das Einzige in der Cur-Art der Allöopathen, was offenbaren Bezug auf einen Theil der Symptome der natürlichen Krankheit hat - aber, welchen Bezug! Wahrlich nur einen umgekehrten, welcher, wenn man den chronisch Kranken nicht täuschen, seiner nicht spotten will, sorgfältig vermieden werden sollte *.
* Man möchte gern ein dritte Anwendung der Arzneien gegen Krankheit durch Isopathie, wie man sie nennt, erschaffen, nämlich mit gleichem Miasm eine gleiche vorhandne Krankheit heilen. Aber, gesetzt auch, man vermöchte dieß, so würde, da sie das Miasm nur hoch potenzirt, und folglich, verändert dem Kranken reicht, sie dennoch nur durch ein, dem Simillimo entgegen gesetztes Simillimum die Heilung bewirken.
Dieß Heilen Wollen aber durch eine ganz gleiche Krankheits-Potenz (per idem) widerspricht allem gesunden Menschen-Verstande und daher auch aller Erfahrung. Denen, welche zuerst die sogenannte Isopathie zur Sprache brachten, schwebte vermuthtlich die Wohlthat vor Augen, welche die Menschheit durch Anwendung der Kuhpocken-Einimpfung erfuhr, daß dadurch der Eingeimpfte von aller künftigen Menschenpocken-Ansteckung frei erhalten, und gleichsam schon im voraus von letzterer geheilt ward. Aber beide, die Kuhpocken wie die Menschenpocke, sind nur sehr ähnliche, auf keine Weise ganz dieselbe Krankheit; sie sind in vieler Hinsicht von einander abweichend, namentlich auch durch den schnellern Verlauf und die Gelindigkeit der Kuhpocken, vorzüglich aber dadurch, daß diese nie durch ihre Nähe den Menschen anstecken, und so durch die allgemeine Verbreitung ihrer Einimpfung allen Epidemien jener tödlichen, fürchterlichen Menschenpocken dergestalt ein Ende gemacht haben, daß die jetzige Generation gar keine anschauliche Vorstellung von jener ehemaligen scheußlichen Menschenpocken-Pest mehr hat. So werden allerdings auch ferner einige, den Thieren eigne Krankheiten uns Arznei- und Heil-Potenzen für sehr ähnliche, wichtige Menschen-Krankheiten darreichen, und demnach unsern homöopathischen Arznei-Vorrath glücklich ergänzen. Aber mit einem menschlichen Krankheitsstoffe (z.B. einem Psorikum von Menschen-Krätze genomnen, gleiche menschliche Krankheit, Menschen-Krätze oder davon entstandene Uebel) heilen wollen - das sei fern! Es erfolgt nichts davon als Unheil und Verschlimmerung der Krankheit!
§57
Um so antipathisch zu verfahren, giebt ein solcher gewöhnlicher Arzt, gegen ein einzelnes, beschwerliches Symptom unter den vielen übrigen, von ihm nicht geachteten Symptomen der Krankheit, eine Arznei, von welcher es bekannt ist, daß sie das gerade Gegentheil des zu beschwichtigenden Krankheits-Symptoms hervorbringt, wovon er demnach, zufolge der ihm seit mehr als fünfzehn Hundert Jahren vorgeschriebenen Regel der uralten medicinischen Schule (contraria contrariis) die schleunigste (palliative) Hülfe erwarten kann. Ergiebt starke Gaben Mohnsaft gegen Schmerzen aller Art, weil diese Arznei die Empfindung schnell betäubt, giebt eben dieses Mittel gegen Durchfälle, weil es schnell die wurmförmige Bewegung des Darmkanals hemmt und denselben alsbald unempfindlich macht, und so auch gegen Schlaflosigkeit, weil Mohnsaft schnell einen betäubenden, stupiden Schlaf zuwege bringt; er giebt Purganzen, wo der Kranke schon lange an Leibesverstopfung und Hartleibigkeit leidet; er läßt die verbrannte Hand in kaltes Wasser tauchen, was durch die Kälte den Brennschmerz augenblicklich wie wegzuzaubern scheint; setzt den Kranken, der über Frostigkeit und Mangel an Lebenswärme klagt, in warme Bäder, die ihn doch nur augenblicklich erwärmen, und läßt den langwierig Geschwächten Wein trinken, wodurch er augenblicklich belebt und erquickt wird, und wendet so noch einige andre antipathische Hülfs-Veranstaltungen an, doch außer diesen nur noch wenige, da der gewöhnlichen Arzneikunst nur von wenigen Mitteln einige eigenthümliche (Erst-)Wirkung bekannt ist.
§58
Wenn ich auch bei Beurtheilung dieser Arznei-Anwendung den Umstand übergehen wollte, daß hiebei sehr fehlerhaft, bloß symptomatisch verfahren (s. Anm. zu §. 7) d. i. nur einseitig für ein einzelnes Symptom, also nur für einen kleinen Theil des Ganzen gesorgt wird, wovon offenbar nicht Hülfe für das Total der Krankheit, die allein der Kranke wünschen kann, zu erwarten ist, - so muß man doch auf der andern Seite die Erfahrung fragen, ob in einem einzigen Falle solchen antipathiscben Arzneigebrauchs, gegen eine langwierige oder anhaltende Beschwerde, nach erfolgter, kurz dauernder Erleichterung, nicht eine größere Verschlimmerung der so palliativ Anfangs beschwichtigten Beschwerde, ja Verschlimmerung der ganzen Krankheit erfolgte? Und da wird jeder aufmerksame Beobachter übereinstimmen, daß auf eine solche antipathische, kurze Erleichterung jederzeit und ohne Ausnahme Verschlimmerung erfolgt, obgleich der gemeine Arzt diese nachgängige Verschlimmerung dem Kranken anders zu 1 und sie auf eine sich jetzt erst offenbarende Bösartigkeit der ursprünglichen, oder auf die Entstehung einer neuen Krankheit zu schieben pflegt *.
* So wenig auch bisher die Aerzte zu beobachten pflegten, so konnte ihnen doch die, auf solche Palliative gewiß erfolgende Verschlimmerung nicht entgehen. Ein starkes Beispiel dieser Art findet man in J. H. SCHULZE, Diss. qua corporis humani momentanearum alterationum specimina quaedam expenduntur, Halae 1741. §. 28. Etwas Aehnliches bezeugt WILLIS, Pharm. rat. Sect. 7. Cap. I. S. 298. Opiata dolores atrocissimos plerumque sedant atque indolentiam procurant, eamque aliquamdiu et pro stato quodam tempore continuant, quo spatio elapso dolores mox recrudescunt et brevi ad solitam ferociam augentur. Und so S. 295: Exactis opii viribus illico redeunt tormina, nec atrocitatem suam remittunt, nisi dum ab eodem pharmaco rursus incantatur. So sagt J. HUNTER (über die vener. Krankh. S. 13.), daß Wein bei Schwachen die Wirkungskraft vermehre, ohne ihnen jedoch eine wahre Stärke mitzutheilen und daß die Kräfte hintennach in demselben Verhältnisse wieder sinken, als sie zuvor erregt worden waren, wodurch man keinen Vortheil erhalte, sondern die Kräfte größtentheils verloren gingen.
§59
Noch nie in der Welt wurden bedeutende Symptome anhaltender Krankheiten durch solche palliative Gegensätze behandelt, ohne daß nach wenigen Stunden das Gegentheil, die Rückkehr, ja offenbare Verschlimmerung eines solchen Uebels erfolgt wäre. Gegen langwierige Neigung zu Tagesschläfrigkeit verordnete man den, in seiner Erstwirkung ermunternden Kaffee, und als er ausgewirkt hatte, nahm die Tagesschläfrigkeit zu; - gegen öfteres nächtliches Aufwachen gab man, ohne auf die übrigen Symptome der Krankheit zu sehen, Abends Mohnsaft, der seiner Erstwirkung zufolge, für diese Nacht einen betäubenden, dummen Schlaf zuwege brachte, aber die folgenden Nächte wurden dann noch schlafloser; - den chronischen Durchfällen setzte man, ohne auf die übrigen Krankheits-Zeichen Rücksicht zu nehmen, eben diesen, in seiner Erstwirkung Leib verstopfenden Mohnsaft entgegen, aber nach kurzer Hemmung des Durchfalls ward derselbe hinterdrein nur desto ärger; - heftige, oft wiederkehrende Schmerzen aller Art konnte man mit dem Gefühl betäubenden Mohnsaft nur auf kurze Zeit unterdrücken, dann kamen sie stets erhöhet, oft unerträglich erhöhet, wieder zurück, oder andere, weit schlimmere Uebel dafür - Gegen alten Nachthusten weiß der gemeine Arzt nichts Besseres, als den, jeden Reiz in seiner Erstwirkung unterdrückenden Mohnsaft zu geben, welcher danach die erste Nacht vielleicht schweigt, aber die folgenden Nächte nur desto angreifender wiederkehrt, und wenn er dann nochmals und abermals mit diesem Palliative in hochgesteigerter Gabe unterdrückt wird, so kommt Fieber und Nachtschweiß hinzu; - eine geschwächte Harnblase und daher rührende Harnverhaltung, suchte man durch den antipathischen Gegensatz der, die Harnwege aufreizenden Cantharidentinctur zu besiegen, wodurch zwar Anfangs Ausleerung des Urins erzwungen, hinterdrein aber die Blase noch unreizbarer und unvermögender wird, sich zusammenzuziehen, und die Harnblasen-Lähmung ist vor der Thüre; - mit den, in starker Gabe, die Därme zu häufiger Ausleerung reizenden Purgir-Arzneien und Laxir-Salzen wollte man alte Neigung zu Leibverstopfung aufheben, aber in der Nachwirkung ward der Leib nur desto verstopfter; - langwierige Schwäche will der gemeine Arzt durch Weintrinken heben, was doch nur in der Erstwirkung aufreizt, daher sinken die Kräfte nur desto tiefer in der Nachwirkung; - durch bittere Dinge und hitzige Gewürze will er langwierig schwache und kalte Magen stärken und erwärmen, aber der Magen wird von diesen, nur in der Erstwirkung aufregenden Palliativen, in der Nachwirkung nur desto unthätiger; - lang anhaltender Mangel an Lebenswärme so wie Frostigkeit, soll auf verordnete warme Bäder weichen, aber desto matter, kälter und frostiger werden die Kranken hinterdrein; - stark verbrannte Theile fühlen auf Behandlung mit kaltem Wasser zwar augenblickliche Erleichterung, aber der Brennschmerz vermehrt sich hinterdrein unglaublich; die Entzündung greift um sich und steigt zu einem desto höhern Grade; - durch Schleim erregende Niesemittel will man alten Stockschnupfen heben, merkt aber nicht, daß er durch dies Entgegengesetzte immer mehr (in der Nachwirkung) sich verschlimmert und die Nase nur noch verstopfter wird; - mit den, in der Erstwirkung die Muskelbewegung stark aufreizenden Potenzen der Electricität und des Galvanismus, setzte man langwierig schwache, fast lähmige Glieder schnell in thätigere Bewegung; die Folge aber (die Nachwirkung) war gänzliche Ertödtung aller Muskel-Reizbarkeit und vollendete Lähmung; - mit Aderlässen wollte man langwierigen Blutandrang nach dem Kopfe und nach andern Theilen hin, z. B. bei Herzklopfen, wegnehmen, aber es erfolgte darauf stets größere Blut-Anhäufung in diesen Organen, stärkeres, häufigeres Herzklopfen u.s.w. - die lähmige Trägheit der Körper- und Geistesorgane, mit Besinnungslosigkeit gepaart, welche in vielen Typhus-Arten vorherrschen, weiß die gemeine Arzneikunst mit nichts Besserm zu behandeln als mit großen Gaben Baldrian, weil dieser eins der kräftigsten, ermunternden und beweglich machenden Arzneimittel sei; ihrer Unwissenheit war aber nicht bekannt, daß diese Wirkung bloß Erstwirkung ist und daß der Organism nach derselben, jedesmal in der Nachwirkung (Gegenwirkung) in eine desto größere Betäubung und Bewegungslosigkeit, das ist, in Lähmung der Geistes- und Körper-Organe (selbst Tod) mit Gewißheit verfällt; sie sahen nicht, daß gerade diejenigen Kranken, die sie am meisten mit dem hier opponirten, anthipathischen Baldrian fütterten, am unfehlbarsten starben. - Der Arzt alter Schule *
* M. S. Hufeland in seinem Pamphlet: die Homöopathie S. 20.
frohlockt den kleinen, schnellen Puls in Kachexien schon mit der ersten Gabe von dem in seiner Erstwirkung den Puls verlangsamernden Purpur-Fingerhut, auf mehrere Stunden langsamer erzwungen zu haben, aber bald kehrt dessen Geschwindigkeit verdoppelt zurück; wiederholte, nun verstärkte Gaben bewirken immer weniger und endlich gar nicht mehr Minderung seiner Schnelligkeit, vielmehr wird er in der Nachwirkung nun unzählbar; Schlaf, Eßlust und Kraft weichen und der baldige Tod ist unausbleiblich, wenn nicht Wahnsinn entsteht. Wie oft man, mit einem Worte, durch solche entgegengesetzte (antipathische) Mittel, in der Nachwirkung die Krankheit verstärkte, ja oft noch etwas Schlimmeres damit herbeiführte, sieht die falsche Theorie nicht ein, aber die Erfahrung lehrt es mit Schrecken.
§60
Entstehen nun diese, vom antipathischen Gebrauche der Arzneien sehr natürlich zu erwartenden, übeln Folgen, so glaubt der gewöhnliche Arzt sich dadurch zu helfen, daß er, bei jeder erneueten Verschlimmerung, eine verstärktere Gabe des Mittels reicht, wovon dann ebenfalls nur kurz dauernde Beschwichtigung *
* Alle gewöhnlichen Palliative für die Leiden des Kranken haben (wie man hier sieht) zur Nachwirkung eine Erhöhung derselben Leiden und die ältern Aerzte mußten daher die Gaben verstärkt wiederholen, um eine ähnliche Minderung hervorzubringen, die dennoch nie von Dauer war, nie hinreichte, um eine verstärkte Rückkehr des Leidens zu verhindern.
Aber Broussais, während er vor 25 Jahren die unsinnige Mischerei mehrerer Droguen in den Recepten der Aerzte bestritt und ihr in Frankreich ein Ende machte (was ihm die Menschheit billig verdankt), führte durch sein sogenanntes physiologisches System (ohne der schon damals verbreiteten, homöopathischen Heilkunst zu achten) eine, die Leiden der Kranken wirksam mindernde und (was die bis dahin üblichen Palliative nicht vermocht hatten) die verstärkte Rückkehr aller ihrer Leiden dauerhaft hindernde Curart ein, die sich auf alle Krankheiten der Menschen erstreckte. Unfähig, die Krankheiten mit milden, unschuldigen Arzneien wirklich zu heilen und Gesundheit herzustellen, fand Broussais den Ieichtern Weg, die Leiden der Kranken auf Kosten ihres Lebens nach und nach immer mehr und mehr zu stillen und endlich mit dem Leben ganz auszulöschen; eine Curart, die leider seinen kurzsichtigen Zeitgenossen genügte. - Je mehr der Kranke noch Kräfte hat, desto auffallender sind seine Beschwerden, desto lebhafter fühlt er seine Schmerzen. Er wimmert, er stöhnt, er schreit, er ruft um Hülfe, stärker und stärker, so daß die Umstehenden nicht schnell genug zum Arzt eilen können, um ihm Ruhe zu verschaffen. Broussais hatte nur nöthig, die Lebenskraft des Kranken herabzustimmen, immer mehr und mehr zu mindern und siehe! je öfterer er ihm zur Ader ließ und durch jemehr Blutegel und Schröpfköpfe er ihm den Lebenssaft aussaugen ließ (denn fast an allen Leiden sollte, nach ihm, das unschuldige, unersetzliche Blut, schuld sein!) desto mehr verlor der Kranke die Kraft, Schmerzen zu empfinden, oder durch heftige Klagen und Gebehrden seinen verschlimmerten Zustand auszudrücken. Der Kranke scheint nun um desto ruhiger, je schwächer er geworden ist; die Umstehenden freuen sich seiner scheinbaren Besserung und eilen, wenn die Krämpfe, die Erstickung, die Angst-Anfälle, oder die Schmerzen sich erneuern wollen, wieder zu den Mitteln, welche schon so schön beruhigt hatten und Aussicht auf abermalige Beruhigung geben; (in langwierigen Krankheiten und wenn der Kranke noch etwas kräftig war, hatte er sich schon die Nahrung entziehen und Hunger-Diät halten müssen, um das Leben desto erfolgreicher herabzustimmen und den beunruhigenden Zuständen ein Ziel zu setzen). Der schon so sehr geschwächte Kranke fühlt sich unfähig, gegen die fernere Schwächung durch Aderlaß, Blutegel, Blasenpflaster, warme Bäder u.s.w. zu protestiren oder sie zu verwehren.
Daß auf solche, oft wiederholte Minderung und Erschöpfung der Lebenskraft, Tod erfolgen müsse, merkt der seines Bewußtseins immer weniger und weniger mächtige Kranke schon nicht mehr und die Anverwandten werden durch einige Minderung, auch der letzten Leiden des Kranken, mittels Blutabzapfens und lauer Bäder so eingeschläfert, daß sie sich verwundern, wie der Kranke unvermuthet ihnen so eben unter den Händen wegsterben konnte. „Da man jedoch, weiß Gott! den Kranken auf seinem Krankenlager anscheinend nicht mit Heftigkeit behandelte, da der kleine Lanzet-Stich bei jedem Aderlaß nicht eben schmerzhaft und die Gummi-Auflösung in Wasser, (eau de gomme, fast die einzige Arznei, die Broussais erlaubte) nur milde von Geschmack und ohne sichtbare Wirkung ist, auch die Blutegel nur etwas beißen und die vom Arzte verordnete Menge Blut ganz in der Stille abziehen und so die lauen Wasserbäder doch auch nur besänftigen können, so muß die Krankheit wohl gleich von vorne herein tödtlich gewesen sein, so daß der Kranke, trotz aller Bemühungen des Arztes die Erde verlassen mußte." So trösteten sich die Anverwandten und vorzüglich die Erben des selig Verstorbnen.
Die Aerzte in Europa und anderwärts ließen sich diese so bequeme Behandlung aller Krankheiten über Einen Leisten gar wohl gefallen, da sie ihnen alles Nachdenken (die mühsamste Arbeit unter der Sonne!) ersparte und sie dabei bloß zu sorgen hatten, „die Erinnerungen des Gewissens zu besänftigen und sich etwa damit zu trösten, daß sie nicht Urheber dieses Systems und dieser Curart wären, daß alle übrigen Tausende von Broussaisten eben so thäten und daß vielleicht auch mit dem Tode Alles vorbei sei, wie es ihnen ihr Meister öffentlich gelehrt hatte." So wurden viele Tausend Aerzte jämmerlich verführt (uneingedenk der Donnerworte des ältesten unserer Gesetzgeber: „Du sollst kein Blut vergießen, denn das Leben ist im Blute") mit kaltem Herzen das warme Blut ihrer heilungsfähigen Kranken in Strömen zu vergießen und so mehr Millionen Menschen (Broussaisch) allmäIig ihres Lebens zu berauben, als stürmisch in Napoleons Schlachten fielen -. Mußte vielleicht, nach der Fügung Gottes, jenes System Broussais ’s, das Leben der heilbaren Kranken medicinisch zu vernichten, vorausgehen, um der Welt die Augen zu öffnen für die einzig wahre Heilkunst, die Homöopathie, worin alle heilbaren Kranken Genesung und Wiederbelebung finden, wenn diese schwerste aller Künste, von einem unermüdeten, scharfsinnigen Arzte, rein und gewissenhaft ausgeübt wird ?
und bei dann noch nöthiger werdenden, immer höherer Steigerung des Palliativs, entweder ein anderes, größeres Uebel, oder oft gar Unheilbarkeit, Lebensgefahr und Tod erfolgt, nie aber Heilung eines etwas älteren oder alten Uebels.
§61
Wären die Aerzte fähig gewesen, über solche traurige Erfolge von opponirter Arzneianwendung nachzudenken, so würden sie schon längst die große Wahrheit gefunden haben, dass im geraden Gegentheile von solcher antipathischen Behandlung der Krankheitssymptome, die wahre, dauerhafte Heilart zu finden sein müsse; sie würden inne geworden sein, daß, so wie eine den Krankheitssymptomen entgegengesetzte Arznei-Wirkung (antipathisch angewendete Arznei) nur kurzdauernde Erleichterung und nach ihrer Verfließung stets Verschlimmerung zur Folge hat, nothwendig das umgekehrte Verfahren, die homöopathische Anwendung der Arzneien nach ihrer Symptomen-Aehnlichkeit eine dauernde, vollständige Heilung zuwege bringen müsse, wenn dabei das Gegentheil ihrer großen Gaben, die allerkleinsten gegeben würden. Aber weder hiedurch, noch dadurch, daß kein Arzt je eine dauerhafte Heilung in ältern oder alten Uebeln bewirkte, wenn sich in seiner Verordnung nicht von ungefähr ein vorwirkendes homöopathisches Arzneimittel befand, auch nicht dadurch, daß alle schnelle, vollkommne Heilung, die je von der Natur zu Stande gebracht worden (§. 46), stets nur durch eine ähnliche, zu der alten hinzugekommene Krankheit bewirkt ward, kamen sie in einer so großen Reihe von Jahrhunderten, auf diese einzig heilbringende Wahrheit
§62
Woher aber dieser verderbliche Erfolg des palliativen, antipathischen Verfahrens und die Heilsamkeit des umgekehrten, homöopathischen rühre, erklären folgende, aus vielfältigen Beobachtungen abgezogene Erfahrungen, die niemandem vor mir in die Augen fielen, so nahe sie auch lagen, so einleuchtend und unendlich wichtig sie auch zum Heilbehufe sind.
§63
Jede auf das Leben einwirkende Potenz, jede Arznei, stimmt die Lebenskraft mehr oder weniger um, und erregt eine gewisse Befindens-Veränderung im Menschen auf längere oder kürzere Zeit. Man benennt sie mit dem Namen: Erstwirkung. Sie gehört, obgleich ein Product aus Arznei- und Lebenskraft, doch mehr der einwirkenden Potenz an. Dieser Einwirkung bestrebt sich unsere Lebenskraft ihre Energie entgegen zu setzen. Diese Rückwirkung gehört unserer Lebens-Erhaltungs-Kraft an und ist eine automatische Thätigkeit derselben, Nachwirkung oder Gegenwirkung genannt.
§64
Bei der Erstwirkung der künstlichen Krankheits-Potenzen (Arzneien) auf unsern gesunden Körper, scheint sich (wie man aus folgenden Beispielen ersieht) diese unsere Lebenskraft bloß empfänglich (receptiv, gleichsam leidend) zu verhalten und so, wie gezwungen, die Eindrücke der von außen einwirkenden, künstlichen Potenz in sich geschehen und dadurch ihr Befinden umändern zu lassen, dann aber sich gleichsam wieder zu ermannen, und dieser in sich aufgenommenen Einwirkung (Erstwirkung) A) den gerade entgegengesetzten Befindens-Zustand (Gegenwirkung, Nachwirkung) wo es einen solchen giebt, in gleichem Grade hervorzubringen als die Einwirkung (Erstwirkung) der künstlich krank machenden, oder arzneilichen Potenz auf sie gewesen war und zwar nach dem Maße ihrer eignen Energie - oder, B) wo es einen der Erstwirkung gerade entgegengesetzten Zustand in der Natur nicht giebt, scheint sie sich zu bestreben, ihr Uebergewicht geltend zu machen durch Auslöschen der von außen (durch die Arznei) in ihr bewirkten Veränderung, an deren Stelle sie ihre Norm wieder einsetzt (Nachwirkung, Heilwirkung).
§65
Beispiele von A) liegen jedermann vor Augen. Eine in heißem Wasser gebadete Hand ist zwar anfänglich viel wärmer als die andere, ungebadete Hand (Erstwirkung), aber von dem heißen Wasser entfernt und gänzlich wieder abgetrocknet, wird sie nach einiger Zeit kalt und bald viel kälter, als die andere (Nachwirkung). Den von heftiger Leibesbewegung Erhitzten (Erstwirkung) befällt hinterher Frost und Schauder (Nachwirkung). Dem gestern durch viel Wein Erhitzten (Erstwirkung) ist heute jedes Lüftchen zu kalt (Gegenwirkung des Organisms, Nachwirkung). Ein in das kälteste Wasser lange getauchter Arm ist zwar anfänglich weit blässer und kälter (Erstwirkung) als der andere, aber vom kalten Wasser entfernt und abgetrocknet, wird er nachgehends nicht nur wärmer, als der andere, sondern sogar heiß, roth und entzündet (Nachwirkung, Gegenwirkung der Lebenskraft). Auf starken Kaffee erfolgt Uebermunterkeit (Erstwirkung), aber hintennach bleibt lange Trägheit und Schläfrigkeit zurück (Gegenwirkung, Nachwirkung), wenn diese nicht immer wieder durch neues Kaffeetrinken (palliativ, auf kurze Zeit) hinweggenommen wird. Auf von Mohnsaft erzeugten, tiefen Betäubungs-Schlaf (Erstwirkung) wird die nachfolgende Nacht desto schlafloser (Gegenwirkung, Nachwirkung). Nach der durch Mohnsaft erzeugten Leibesverstopfung (Erstwirkung) erfolgt Durchfälligkeit (Nachwirkung) und nach dem mit Darm erregenden Arzneien bewirkten Purgiren (Erstwirkung) erfolgt mehrtägige Leibverstopfung und Hartleibigkeit (Nachwirkung). Und so wird überall auf jede Erstwirkung einer, das Befinden des gesunden Körpers stark umändernden Potenz in großer Gabe, stets das gerade Gegentheil (wo, wie gesagt, es wirklich ein Solches giebt) durch unsere Lebenskraft in der Nachwirkung zu Wege gebracht.
§66
Eine auffallende, entgegengesetzte Nachwirkung ist aber begreiflicher Weise nicht bei Einwirkung ganz kleiner homöopathischer Gaben der umstimmenden Potenzen im gesunden Körper wahrzunehmen. Ein wenig von diesem Allen, bringt zwar eine, bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmbare Erstwirkung hervor; aber der lebende Organism macht dafür auch nur so viel Gegenwirkung (Nachwirkung), als zur Wiederherstellung des normalen Zustandes erforderlich ist.
§67
Diese aus Natur und Erfahrung sich von selbst darbietenden, unwidersprechlichen Wahrheiten, erklären uns den hülfreichen Vorgang bei homöopathischen Heilungen, so wie sie auf der andern Seite die Verkehrtheit der antipathischen und palliativen Behandlung der Krankheiten, mit entgegengesetzt wirkenden Arzneien darthun *.
* Bloß in höchst dringenden Fällen, wo Lebensgefahr und Nähe des Todes einem homöopathischen Hülfsmittel zum Wirken keine Zeit, nicht Stunden, oft nicht einmal Viertelstunden und kaum Minuten verstattet, in plötzlich entstandnen Zufällen, bei vorher gesunden Menschen, z. B. bei Asphyxien, dem Scheintode vom Blitze, vom Ersticken, Erfrieren, Ertrinken u.s.w., ist es erlaubt und zweckmäßig, durch ein Palliativ, z. B. durch gelinde electrische Erschütterungen, durch Klystiere von starkem Caffee, durch ein excitirendes Riechmittel, allmälige Erwärmungen u.s.w., vorerst wenigstens die Reizbarkeit und Empfindung (das physische Leben) wieder aufzuregen; ist es dann einmal wieder aufgeregt, so geht das Spiel der Lebensorgane seinen vorigen gesunden Gang fort, weil hier keine Krankheit**, sondern bloß Hemmung und Unterdrückung der an sich gesunden Lebenskraft zu beseitigen war. Hieher gehören auch verschiedene Antidote jählinger Vergiftungen: Alkalien gegen verschluckte Mineralsäuren, Schwefelleber gegen Metallgifte, Kaffee und Campher (und Ipecacuanha) gegen Opium-Vergiftungen, u.s.w.
Auch ist eine homöopathische Arznei deshalb noch nicht gegen einen Krankheitsfall unpassend gewählt, weil ein oder das andere Arzneisymptom einigen mittlern und kleinen Krankheitssymptomen nur antipathisch entspricht; wenn nur die übrigen, die stärkern, vorzüglich ausgezeichneten (charakteristischen) und sonderlichen Symptome der Krankheit durch dasselbe Arzneimittel, durch Symptomen-Aehnlichkeit (homöopathisch) gedeckt und befriedigt, das ist, überstimmt, vertilgt und ausgelöscht werden, so vergehen auch die wenigen entgegengesetzten Symptome nach verflossener Wirkungsdauer des Medicaments von selbst, ohne im mindesten die Heilung zu verzögern.
** Und dennoch (aber vergeblich) beruft sich die neue Mischlings-Sekte auf diese Anmerkung, um überall in Krankheiten solche Ausnahmen von der Regel anzutreffen und recht bequem ihre allöopathischen Palliative einzuschwärzen, sowie zur Gesellschaft auch andern verderblichen, allöopathischen Unrath, einzig um sich die Mühe zu ersparen, das treffende homöopathische Heilmittel für jeden Krankheitsfall aufzusuchen und so, ganz bequem, homöopathische Aerzte zu scheinen, ohne es zu sein ihre Thaten sind aber auch darnach; sie sind verderblich.
§68
Bei homöopathischen Heilungen zeigt uns die Erfahrung, daß auf die ungemein kleinen Arznei-Gaben (§. 275-287.), die bei dieser Heilart nöthig sind, und welche nur so eben hinreichend waren, durch Aehnlichkeit ihrer Symptome die ähnliche, natürliche Krankheit zu überstimmen und aus dem Gefühle des Lebensprincips zu verdrängen, zwar zuweilen nach Vertilgung der letztern anfangs noch einige wenige Arzneikrankheit allein im Organismus fortdauert, aber, der außerordentlichen Kleinheit der Gabe wegen, so überhingehend, so leicht und so bald von selbst verschwindend, daß die Lebenskraft gegen diese kleine, künstliche Verstimmung ihres Befindens, keine bedeutendere Gegenwirkung vorzunehmen nöthig hat, als die zur Erhebung des jetzigen Befindens auf den gesunden Standpunkt (das ist, zur völligen Herstellung gehörige), wozu sie nach Auslöschung der vorherigen krankhaften Verstimmung wenig Anstrengung bedarf (s. §. 64. B.).
§69
Bei der antipathischen (palliativen) Verfahrungsart aber geschieht gerade das Widerspiel. Das, dem Krankheitssymptome vom Arzte entgegengesetzte Arzneisymptom (z.B. die gegen den empfindlichen Schmerz, durch Mohnsaft in der Erstwirkung erzeugte Unempfindlichkeit und Betäubung) ist zwar dem erstern nicht fremdartig, nicht völlig allöopathisch, es ist offenbare Beziehung des Arzneisymptoms auf das Krankheitssymptom sichtbar, aber die umgekehrte; die Vernichtung des Krankheitssymptoms soll hier durch ein opponirtes Arzneisymptom geschehen, was jedoch unmöglich ist. Zwar berührt die antipathisch gewählte Arznei auch denselben krankhaften Punkt im Organism, so gewiß als die ähnlich krankmachende, homöopathisch gewählte Arznei; erstere verdeckt aber als ein Entgegengesetztes, das entgegengesetzte Krankheitssymptom nur leicht und macht es nur auf kurze Zeit unserm Lebensprincip unmerklich, so daß im ersten Momente der Einwirkung des opponirten Palliativs die Lebenskraft von beiden nichts Unangenehmes fühlt, (weder von dem Krankheits- noch vom entgegengesetzten Arzneisymptome), da beide einander gegenseitig im Gefühle des Lebensprincips aufgehoben, und gleichsam dynamisch neutralisirt zu haben scheinen (z.B. die Betäubungskraft des Mohnsaftes, den Schmerz). Die Lebenskraft fühlt sich in den ersten Minuten wie gesund und empfindet weder Mohnsaft-Betäubung, noch Krankheitsschmerz. Aber da das opponirte Arzneisymptom nicht (wie beim homöopathischen Verfahren) die Stelle der vorhandenen Krankheitsverstimmung im Organism (im Gefühle des Lebensprincips) als eine ähnliche, stärkere (künstliche) Krankheit einnehmen, also das Lebensprincip nicht, wie eine homöopathische Arznei, mit einer sehr ähnlichen Kunst-Krankheit afficiren und so an die Stelle der bisherigen natürlichen Krankheits-Verstimmung treten kann, so muß die palliative Arznei, als ein von der Krankheits-Verstimmung durch Gegensatz gänzlich Abweichendes, dieselbe unvertilgt lassen; sie macht sie zwar, wie gesagt, der Lebenskraft durch einen Schein von dynamischer Neutralisation *
* Im lebenden Menschen findet keine bleibende Neutralisation streitiger oder entgegengesetzter Empfindungen statt, wie etwa bei Substanzen von entgegengesetzter Eigenschaft in der chemischen Werkstatt, wo z. B. Schwefelsäure und Potasch-Kali, sich zu einem ganz andern Wesen, zu einem Neutralsalze vereinigen, was nun weder Säure, noch Laugensalz mehr ist und sich selbst im Feuer nicht wieder zersetzt. Solche Zusammenschmelzungen und innige Vereinigungen zu etwas bleibend Neutralem und Gleichgültigem, finden, wie gesagt, bei dynamischen Eindrücken entgegengesetzter Natur in unsern Empfindungs-Werkzeugen nie statt. Nur ein Schein von Neutralisation und gegenseitiger Aufhebung ereignet sich anfänglich in diesem Falle, aber die opponirten Gefühle heben einander nicht dauernd auf. Dem Traurigen werden durch ein lustiges Schauspiel nur auf kurze Zeit die Thränen getrocknet; er vergißt aber die Possen bald und seine Thränen fließen dann nur um desto reichlicher.
anfänglich unfühlbar, verlöscht aber bald, wie jede Arzneikrankheit von selbst, und läßt nicht nur die Krankheit, wie sie vorher war, zurück, sondern nöthigt auch, (da sie, wie alle Palliative, in großer Gabe gegeben werden mußte, um die Schein-Beschwichtigung zu erreichen), die Lebenskraft einen opponirten Zustand (§. 63 - 65.) auf diese palliative Arznei hervorzubringen, das Gegentheil der Arzneiwirkung, also das Aehnliche von der vorhandnen ungetilgten, natürlichen Krankheitsverstimmung, die durch diesen von der Lebenskraft hervorgebrachten Zusatz (Gegenwirkung auf das Palliativ) nothwendig verstärkt und vergrößert wird **.
** So deutlich dieses ist, so hat man es dennoch mißverstanden und gegen diesen Satz eingewendet, „daß das Palliativ in seiner Nachwirkung, welche dann das Aehnliche der vorhandenen Krankheit sei, wohl eben so gut heilen müsse, als eine homöopathische Arznei durch ihre Erstwirkung thue." Man bedachte aber nicht, daß die Nachwirkung nie ein Erzeugniß der Arznei, sondern stets der gegenwirkenden Lebenskraft des Organisms, also diese, von der Lebenskraft durch Anwendung eines Palliativs herrührende Nachwirkung ein dem Krankheits-Symptome ähnlicher Zustand sei, den eben das Palliativ ungetilgt ließ, und den die Gegenwirkung der Lebenskraft auf das Palliativ folglich noch verstärkt.
Das Krankheitssymptom (dieser einzelne Theil der Krankheit) wird also schlimmer nach verflossener Wirkungsdauer des Palliativs; um so schlimmer, je größer die Gabe desselben gewesen war. Je größer also, (um bei demselben Beispiele zu bleiben) die zur Verdeckung des Schmerzes gereichte Gabe Mohnsaft gewesen war, um desto mehr vergrößert sich der Schmerz in seiner ursprünglichen Heftigkeit, sobald der Mohnsaft ausgewirkt hat ***.
*** Wie wenn in einem dunkeln Kerker, wo der Gefangene nur nach und nach mit Mühe die nahen Gegenstände erkennen konnte, jähling angezündeter Weingeist dem Elenden auf einmal alles um ihn her tröstlich erhellet, bei Verlöschung desselben aber, je stärker die nun erloschene Flamme gewesen war, ihn nun eine nur desto schwärzere Nacht umgiebt und ihn alles umher weit unsichtbarer macht als vorher.
§70
Nach dem bisher vorgetragenen ist es nicht zu verkennen:
daß alles, was der Arzt wirklich Krankhaftes und zu Heilendes an Krankheiten finden kann, bloß in dem Zustande und den Beschwerden des Kranken und den an ihm sinnlich wahrnehmbaren Veränderungen seines Befindens, mit einem Worte, bloß in der Gesammtheit derjenigen Symptome bestehe, durch welche die Krankheit die, zu ihrer Hülfe geeignete Arznei fordert, hingegen jede ihr angedichtete innere Ursache, verborgene Beschaffenheit, oder ein eingebildeter, materieller Krankheits-Stoff, ein nichtiger Traum sei:
daß diese Befindens-Verstimmung, die wir Krankheit nennen, bloß durch eine andere Befindens-Umstimmung der Lebenskraft zur Gesundheit gebracht werden könne, mittels Arzneien, deren einzige Heilkraft folglich nur in Veränderung des Menschenbefindens, das ist, in eigenthümlicher Erregung krankhafter Symptome bestehen kann, und daß dieses am deutlichsten und reinsten beim Probiren derselben an gesunden Körpern erkannt wird:
daß, nach allen Erfahrungen, durch Arzneien die einen, von der zu heilenden Krankheit abweichenden, fremdartigen Krankheitszustand (unähnliche krankhafte Symptome) für sich in gesunden Menschen zu erregen vermögen, die ihnen unähnliche, natürliche Krankheit nie geheilt werden könne (nie also durch ein allöopathisches Cur-Verfahren), und daß selbst in der Natur keine Heilung vorkomme, wo eine inwohnende Krankheit durch eine hinzutretende zweite, jener unähnliche, aufgehoben, vernichtet und geheilt würde, sei die neue auch noch so stark:
daß auch nach allen Erfahrungen, durch Arzneien, die ein dem zu heilenden einzelnen Krankheitssymptome entgegengesetztes künstliches Krankheitssymptom für sich im gesunden Menschen zu erregen Neigung haben, bloß eine schnell vorübergehende Linderung, nie aber Heilung einer älteren Beschwerde, sondern vielmehr stets nachgängige Verschlimmerung derselben bewirkt werde; und daß, mit einem Worte, dieses antipathische und bloß palliative Verfahren in ältern, wichtigen Uebeln, durchaus zweckwidrig sei:
daß aber endlich die dritte, einzig noch mögliche Verfahrungsart (die homöopathische), mittels deren gegen die Gesammtheit der Symptome einer natürlichen Krankheit eine, möglichst ähnliche Symptome in gesunden Menschen zu erzeugen fähige Arznei, in angemessener Gabe gebraucht wird, die allein hülfreiche Heilart sei, wodurch die Krankheiten als bloß dynamische Verstimmungs-Reize durch den stärkern, ähnlichen Verstimmungsreiz der homöopathischen Arznei im Gefühle des Lebensprincips überstimmt und ausgelöscht werden und so unbeschwerlich, vollkommen und dauerhaft ausgelöscht, zu existiren aufhören müssen - worin uns auch die freie Natur in ihren zufälligen Ereignissen mit ihrem Beispiele vorangeht, wenn zu einer alten Krankheit eine neue, der alten ähnliche hinzutritt, wodurch die alte schnell und auf immer vernichtet und geheilt wird.
§71
Da es nun weiter keinem Zweifel unterworfen ist, daß die Krankheiten des Menschen bloß in Gruppen gewisser Symptome bestehen, mittels eines Arzneistoffs aber bloß dadurch, daß dieser ähnliche krankhafte Symptome künstlich zu erzeugen vermag, vernichtet und in Gesundheit verwandelt werden (worauf der Vorgang aller ächten Heilung beruht), so wird sich das Heilgeschäft auf folgende drei Punkte beschränken:
Wie erforscht der Arzt, was er zum Heilbehufe von der Krankheit zu wissen nöthig hat?
Wie erforscht er die, zur Heilung der natürlichen Krankheiten bestimmten Werkzeuge, die krankmachende Potenz der Arzneien?
Wie wendet er diese künstlichen Krankheitspotenzen (Arzneien) zur Heilung der natürlichen Krankheiten am zweckmäßigsten an?
§72
Was den ersten Punkt betrifft, so dient Folgendes zuvörderst als allgemeine Uebersicht. Die Krankheiten der Menschen, sind theils schnelle Erkrankungs-Processe des innormal verstimmten Lebensprincips, welche ihren Verlauf in mäßiger, mehr oder weniger kurzen Zeit zu beendigen geeignet sind - man nennt sie acute Krankheiten -; theils sind es solche Krankheiten, welche bei kleinen, oft unbemerkten Anfängen den lebenden Organism, jede auf ihre eigne Weise, dynamisch verstimmen und ihn allmälig so vom gesunden Zustande entfernen, daß die zur Erhaltung der Gesundheit bestimmte, automatische Lebens-Energie, Lebenskraft (Lebensprincip) genannt, ihnen beim Anfange, wie bei ihrem Fortgange, nur unvollkommenen, unzweckmäßigen, unnützen Widerstand entgegensetzen, sie aber, durch eigne Kraft, nicht in sich selbst auslöschen kann, sondern unmächtig dieselbe fortwuchern und sich selbst immer innormaler umstimmen lassen muß, bis zur endlichen Zerstörung des Organism; man nennt sie chronische Krankheiten. Sie entstehen von dynamischer Ansteckung durch ein chronisches Miasm.
§73
Was die acuten Krankheiten betrifft, so sind sie theils solche, die den einzelnen Menschen befallen auf Veranlassung von Schädlichkeiten, denen gerade dieser Mensch insbesondere ausgesetzt war. Ausschweifungen in Genüssen, oder ihre Entbehrung, physische heftige Eindrücke, Erkältungen, Erhitzungen, Strapazen, Verheben u.s.w., oder psychische Erregungen, Affecte u.s.w., sind Veranlassung solcher acuten Fieber, im Grunde aber sind es meist nur überhingehende Aufloderungen latenter Psora, welche von selbst wieder in ihren Schlummer-Zustand zurückkehrt, wenn die acuten Krankheiten nicht allzuheftig waren und bald beseitigt wurden - theils sind es solche, welche einige Menschen zugleich hie und dort (sporadisch) befallen, auf Veranlassung meteorischer oder tellurischer Einflüsse und Schädlichkeiten, wovon krankhaft erregt zu werden, nur einige Menschen, zu derselben Zeit, Empfänglichkeit besitzen; hieran gränzen jene, welche viele Menschen aus ähnlicher Ursache unter sehr ähnlichen Beschwerden epidemisch ergreifen, die dann gewöhnlich, wenn sie gedrängte Massen von Menschen überziehen, ansteckend (contagiös) zu werden pflegen. Da entstehen Fieber *,
* Der homöopathische Arzt, der nicht von den Vorurtheilen befangen ist, welche die gewöhnliche Schule ersann, (die einige, wenige Namen solcher Fieber festsetzte, außer denen die große Natur, so zu sagen, keine andern hervorbringen dürfe, damit sie bei ihrer Behandlung nach einem bestimmten Leisten verfahren könne,) erkennt die Namen: Kerker-, Gall-, Typhus-, Faul-, Nerven- oder Schleim-Fieber nicht an, sondern heilt sie, ohne ihnen bestimmte Namen zu geben, jedes nach seiner Eigenthümlichkeit.
jedesmal von eigner Natur, und weil die Krankheitsfälle gleichen Ursprungs sind, so versetzen sie auch stets die daran Erkrankten in einen gleichartigen Krankheits-Proceß, welcher jedoch, sich selbst überlassen, in einem mäßigen Zeitraume, zu Tod oder Genesung sich entscheidet. Kriegsnoth, Ueberschwemmungen und Hungersnoth sind ihre nicht seltenen Veranlassungen und Erzeugerinnen - theils sind es auf gleiche Art wiederkehrende, (daher unter einem hergebrachten Namen bekannte) eigenartige, acute Miasmen, die entweder den Menschen nur einmal im Leben befallen, wie die Menschenpocken, die Masern, der Keichhusten, das ehemalige glatte, hellrothe Scharlach-Fieber **
** Nach dem Jahre 1801 ward ein aus Westen gekommenes Purpur-Friesel (ROODVONK), mit dem Scharlachfieber von den Aerzten verwechselt, ungeachtet jenes ganz andere Zeichen als dieses hatte und jenes an Belladonna, dieses an Aconit sein Schutz- und Heilmittel fand, letztere auch meist nur sporadisch, ersteres stets nur epidemisch erschien. In den letzten Jahren scheinen sich hie und da beide zu einem Ausschlagsfieber von eigner Art verbunden zu haben, gegen welches das eine wie das andere dieser beiden Heilmittel, einzeln nicht mehr genau homöopathisch passend gefunden wird.
des SYDENHAM, die Mumps u.s.w., oder die oft auf ziemlich ähnliche Weise wiederkehrende, levantische Pest, das gelbe Fieber der Wüstenländer, die ostindische Cholera u.s.w.
§74
Zu den chronischen Krankheiten müssen wir leider! noch jene allgemein verbreiteten rechnen, durch die allöopathischen Curen erkünstelt, wie auch den anhaltenden Gebrauch heftiger, heroischer Arzneien, in großen und gesteigerten Gaben, den Mißbrauch von Calomel, Quecksilbersublimat, Quecksilbersalbe, salpetersaueren Silbers, Jodine und ihre Salbe, Opium, Baldrian, Chinarinde und Chinin, Purpurfingerhut, Blausäure, Schwefel und Schwefelsäure, jahrelange Abführungsmittel, Blut in Strömen vergießende Aderlässe *,
* Es kann unter allen Methoden die zur Hülle für Krankheiten ersonnen worden, keine allöopathischere, keine widersinnigere, oder zweckwidrigere gedacht werden, als die, seit vielen Jahren über einen großen Theil der Erde verbreitete Broussaische Schwächungs-Cur durch Blut-Vergießen und Hunger-Diät, worunter kein verständiger Mensch sich etwas Aerztliches, etwas arzneilich Helfendes zu denken vermag, während wirkliche Arznei, selbst blindhin ergriffen und einem Kranken eingegeben, doch hie und da einen Krankheits-Fall besserte, weil es zufällig eine homöopathische war. Von Blut-Vergießen aber, kann der gesunde Menschen-Verstand nichts anderes als unausbleibliche Verminderung und Verkürzung des Lebens erwarten. Es ist eine jämmerliche, völlig grundlose Erdichtung, daß die meisten, ja alle Krankheiten in örtlichen Entzündungen beständen. Selbst für wahre örtliche Entzündungen findet sich die gewisseste, schnelle Heilung in Arzneien, welche die, der Entzündung zum Grunde liegende Gereiztheit der Arterien dynamisch hinwegnehmen, ohne den mindesten Verlust an Säften und Kräften, während die örtlichen Blut-Entziehungen, selbst an der krankhaften Stelle, in der Folge nur die Neigung zu wiederholter Entzündung dieser Theile vermehren. Und eben so ist es im Allgemeinen bei entzündlichen Fiebern zweckwidrig, ja mörderisch, viele Pfunde Blut aus den Venen abzuzapfen, da wenige, angemessene Arznei, oft in wenigen Stunden diese Gereiztheit der Arterien, welche das vorher so ruhige Blut jagt, sammt der zum Grunde liegenden Krankheit hinweg nimmt, ohne den mindesten Verlust an Säften und Kräften. Großer Blutverlust dieser Art ist auf die übrige Lebensdauer offenbar unersetzlich, indem die zur Blutbereitung vom Schöpfer bestimmten Organe dadurch so wesentlich geschwächt werden, daß sie zwar Blut in gleicher Menge, aber nie wieder in gleicher Güte zuzubereiten vermögen. Und wie unmöglich ist es, daß die eingebildete Plethora, die man durch gehäufte Aderlässe abzuzapfen verordnet, sich in so großer Geschwindigkeit erzeugt haben könnte, da doch der Puls des jetzt so heißen Kranken, noch vor einer Stunde (vor dem Fieber-Schauder) so ruhig ging? Kein Mensch, kein Kranker hat je zu viel Blut**, oder zu viel Kräfte; vielmehr fehlt es jedem Kranken an Kräften, denn sonst hätte sein Lebensprincip die Entstehung der Krankheit abgewehrt. Also dem ohnehin schwachen Kranken, durch Vergießung seines Blutes noch eine größere, die ärgste Schwächung zu verursachen, die sich nur denken läßt, ohne seine Krankheit, die stets nur dynamisch ist und nur durch dynamische Potenzen gehoben werden kann, hinweg zu nehmen, ist so unsinnig als grausam, ist eine bloß mörderische Mißhandlung auf eine aus der Luft gegriffene Theorie gegründet.
** Anm. Der einzig mögliche Fall von einer Plethora, ereignet sich beim gesunden Weibe, einige Tage vor ihrer mondlichen Periode, wo dieselbe eine gewisse Fülle in ihrer Bärmutter und in ihren Brüsten spürt, ohne alle Entzündung.
Blutegel, Fontanellen, Haarseile u.s.w., wovon die Lebenskraft theils unbarmherzig geschwächt, theils, wenn sie ja nicht unterliegt, nach und nach (von jedes besondern Mittels Mißbrauche, eigenartig) dergestalt innormal verstimmt wird, daß sie, um das Leben gegen diese feindseligen und zerstörenden Angriffe aufrecht zu erhalten, den Organism umändern, und diesem oder jenem Theile entweder die Erregbarkeit oder die Empfindung benehmen, oder sie übermäßig erhöhen, Theile erweitern oder zusammenziehen, erschlaffen oder verhärten, oder wohl gar vernichten, und hie und da im Innern und Aeußern organische Fehler anbringen **
** Unterliegt endlich der Kranke, so pflegt der Vollbringer einer solchen Cur bei der Leichenöffnung diese innern organischen Verunstaltungen, die seiner Unkunst die Entstehung verdanken, recht schlau, als ursprüngliches unheilbares Uebel den trostlosen Angehörigen vorzuzeigen; m. s. mein Buch: die Allöopathie, ein Wort der Warnung an Kranke jeder Art. Leipz. bei Baumgärtner. Die anatomischen Pathologien mit Abbildungen, täuschenden Andenkens, enthalten die Produkte solcher jämmerlichen Verpfuschungen. Die, ohne solche Verpfuschung durch schädliche Mittel, an natürlichen Krankheiten verstorbnen Landleute und städtischen Armen, pflegt die pathologische Anatomie nicht zu öffnen. Und doch würde man nie in ihren Leichen solche Verderbnisse und Verunstaltungen finden. Hieraus kann man die Beweiß-Kraft jener schönen Abbildungen und die Redlichkeit dieser Herren Bücher-Schreiber beurtheilen.
(den Körper im Innern und Aeußern verkrüppeln) muß, um dem Organism Schutz vor völliger Zerstörung des Lebens gegen die immer erneuerten, feindlichen Angriffe solcher ruinirenden Potenzen zu verschaffen.
§75
Diese, durch die allöopathische Unheilkunst, (am schlimmsten in den neueren Zeiten) hervorgebrachten Verhunzungen des menschlichen Befindens, sind unter allen chronischen Krankheiten die traurigsten, die unheilbarsten und ich bedauere, daß, wenn sie zu einiger Höhe getrieben worden sind, wohl nie Heilmittel für sie scheinen erfunden oder erdacht werden zu können.
§76
Nur gegen natürliche Krankheiten hat uns der Allgütige Hülfe durch die Homöopathik geschenkt - aber jene, durch falsche Kunst schonungslos erzwungenen, oft jahrelangen Schwächungen (durch Blut-Verschwenden, Abmergelung durch Haarseile und Fontanelle) so wie die Verhunzungen und Verkrüppelungen des menschlichen Organisms im Innern und Aeußern durch schädliche Arzneien und zweckwidrige Behandlungen, müßte (bei übrigens zweckmäßiger Hülfe, gegen ein vielleicht noch im Hintergrunde liegendes, chronisches Miasm) die Lebenskraft selbst wieder zurücknehmen, wenn sie nicht schon zu sehr durch solche Unthaten geschwächt worden und mehrere Jahre auf dieses ungeheure Geschäft ungestört verwenden könnte. Eine menschliche Heilkunst, zur Normalisirung jener unzähligen, von der allöopathischen Unheilkunst so oft angerichteten Innormalitäten, giebt es nicht und kann es nicht geben.
§77
Uneigentlich werden diejenigen Krankheiten chronische benannt, welche Menschen erleiden, die sich fortwährend vermeidbaren Schädlichkeiten aussetzen, gewöhnlich schädliche Getränke oder Nahrungsmittel genießen, sich Ausschweifungen mancher Art hingeben, welche die Gesundheit untergraben, zum Leben nöthige Bedürfnisse anhaltend entbehren, in ungesunden, vorzüglich sumpfigen Gegenden sich aufhalten, nur in Kellern, feuchten Werkstätten oder andern verschlossenen Wohnungen hausen, Mangel an Bewegung oder freier Luft leiden, sich durch übermäßige Körper- oder Geistes-Anstrengungen um ihre Gesundheit bringen, in stetem Verdrusse leben, u.s.w. Diese sich selbst zugezogenen Ungesundheiten vergehen, (wenn nicht sonst ein chronisches Miasm im Körper liegt) bei gebesserter Lebensweise von selbst und können den Namen chronischer Krankheiten nicht führen.
§78
Die wahren natürlichen, chronischen Krankheiten sind die, von einem chronischen Miasm entstandenen, welche, sich selbst überlassen und ohne Gebrauch gegen sie specifischer Heilmittel, immerdar zunehmen und selbst bei dem besten, geistig und körperlich diätetischen Verhalten, dennoch steigen und den Menschen mit immerdar erhöhenden Leiden bis ans Ende des Lebens quälen. Außer jenen, durch ärztliche Mißhandlung (§. 74.) erzeugten, sind diese die allerzahlreichsten und größten Peiniger des Menschengeschlechts, indem die robusteste Körper-Anlage, die geordnetste Lebensweise und die thätigste Energie der Lebenskraft, sie zu vertilgen außer Stande sind *
* In den blühendsten Jünglings-Jahren und beim Anfange geregelter Menstruation, gepaart mit einer für Geist, Herz und Körper wohlthätigen Lebensweise bleiben sie oft mehrere Jahre unkenntlich; die davon Ergriffenen scheinen dann in den Augen ihrer Anverwandten und Bekannten, als wären sie völlig gesund und als wäre die, ihnen durch Ansteckung oder Erbschaft eingeprägte Krankheit völlig verschwunden; sie kömmt aber, in spätern Jahren, bei widrigen Ereignissen und Verhältnissen im Leben, unausbleiblich aufs Neue zum Vorschein, und nimmt um desto schneller zu, gewinnt einen desto beschwerlichern Charakter, je mehr das Lebensprincip durch schwächende Leidenschaften, Gram und Kummer, vorzüglich aber durch zweckwidrige, medicinische Behandlung zerrüttet worden war.
§79
Man kannte bisher nur die Syphilis einigermaßen als eine solche chronisch-miasmatische Krankheit, welche ungeheilt nur mit dem Ende des Lebens erlischt. Die, ungeheilt, gleichfalls von der Lebenskraft unvertilgbare Sykosis (Feigwarzenkrankheit) erkannte man nicht als eine innere chronisch miasmatische Krankheit eigner Art, wie sie doch unstreitig ist und glaubte sie durch Zerstörung der Auswüchse auf der Haut geheilt zu haben, ohne das fortwährende, von ihr zurückbleibende Siechthum zu beachten.
§80
Unermeßlich ausgebreiteter, folglich weit bedeutender, als genannte beide, ist das chronische Miasm der Psora, bei welcher, (während jene beiden, die eine durch den venerischen Schanker, die andere durch die blumenkohl-artigen Auswüchse ihr specifisches inneres Siechthum bezeichnen) sich das innere, ungeheure, chronische Miasm ebenfalls erst nach vollendeter innerer Infection des ganzen Organisms durch den eigenartigen, zuweilen nur in einigen wenigen Blüthchen bestehenden Haut-Ausschlag mit unerträglich kitzelnd wohllüstigem Jücken und specifischem Geruche beurkundet - die Psora, jene wahre Grund-Ursache und Erzeugerin fast aller übrigen, häufigen, ja unzähligen Krankheits-Formen *,
* Zwölf Jahre brachte ich darüber zu, um die Quelle jener unglaublich zahlreichen Menge langwieriger Leiden aufzufinden, diese der ganzen Vor- und Mitwelt unbekannt gebliebene, große Wahrheit zu erforschen, zur Gewißheit zu bringen und zugleich die vorzüglichsten (antipsorischen) Heilmittel zu entdecken, welche diesem tausendköpfigen Ungeheuer von Krankheit in seinen so sehr verschiedenen Aeußerungen und Formen zumeist gewachsen wären.
Ich habe meine Erfahrungen hierüber in dem Buche: Die chronischen Krankheiten (4 Thle. Dresd. b. Arnold 1828. 1830 und, zweite Ausgabe in 5 Bänden, bei Schaub) vorgelegt. - Ehe ich mit dieser Kenntniß im Reinen war, konnte ich die sämmtlichen chronischen Krankheiten nur als abgesonderte, einzelne Individuen behandeln lehren, mit den nach ihrer reinen Wirkung an gesunden Menschen bis dahin geprüften Arzneisubstanzen, so daß jeder Fall langwieriger Krankheit nach der an ihm anzutreffenden Symptomen-Gruppe, gleich als eine eigenartige Krankheit von meinen Schülern behandelt und oft so weit geheilt ward, daß die kranke Menschheit über den, schon so weit gediehenen Hülfs-Reichthum der neuen Heilkunst frohlocken konnte. Um wie viel zufriedner kann sie nun sein, daß sie dem gewünschten Ziele um so näher kommt, indem ihr die nun hinzu gefundenen, für die aus Psora hervorkeimenden, chronischen Leiden noch weit specifischern homöopathischen Heilmittel und die specielle Lehre sie zu bereiten und anzuwenden, mitgetheilt worden, unter denen nun der ächte Arzt diejenigen wählt, deren Arznei-Symptome der zu heilenden, chronischen Krankheit am meisten homöopathisch entsprechen, und so fast durchgängig vollständige Heilungen bewirken.
welche unter den Namen von Nerven-Schwäche, Hysterie, Hypochondrie, Manie, Melancholie, Blödsinn, Raserei, Fallsucht und Krämpfen aller Art, von Knochen-Erweichung (Rhachitis), Skrophel, Skoliosis und Kyphosis, Knochenfäule, Krebs, Blutschwamm, Afterorganisationen, Gicht, Hämorrhoiden, Gelb- und Blausucht, Wassersucht, Amenorrhöe und Blutsturz aus Magen, Nase, Lungen, aus der Harnblase, oder der Bärmutter, von Asthma und Lungenvereiterung, von Impotenz und Unfruchtbarkeit, von Migräne, Taubheit, grauem und schwarzem Staar, Nierenstein, Lähmungen, Sinnen-Mängeln und Schmerzen tausenderlei Art u.s.w., in den Pathologien als eigne, abgeschlossene Krankheiten figuriren.
§81
Es wird dadurch, daß dieser uralte Ansteckungszunder nach und nach, in einigen hundert Generationen, durch viele Millionen menschlicher Organismen ging und so zu einer unglaublicben Ausbildung gelangte, einigermaßen begreiflich, wie er sich nun in so unzähligen Krankheits-Formen bei dem großen Menschen-Geschlechte entfalten konnte, vorzüglich wenn wir uns der Betrachtung überlassen, welche Menge von Umständen *
* Einige dieser, die Ausbildung der Psora zu chronischen Uebeln modificirenden Ursachen, liegen offenbar theils im Clima und der besondern, natürlichen Beschaffenheit des Wohnorts, theils in der so abweichenden Erziehung des Körpers und Geistes der Jugend, der vernachlässigten, verschrobenen, oder überfeinerten Ausbildung beider, dem Mißbrauche derselben im Berufe oder den Lebens-Verhältnissen, der diätetischen Lebensart, den Leidenschaften der Menschen, ihren Sitten, Gebräuchen und Gewohnheiten mancher Art.
zur Bildung dieser großen Verschiedenheit chronischer Krankheiten (secundärer Symptome der Psora) beizutragen pflegen, auch außer der unbeschreiblichen Mannigfaltigkeit der Menschen in ihren angebornen Körper-Constitutionen, welche schon für sich so unendlich von einander abweichen, daß es kein Wunder ist, wenn auf so verschiedene, vom psorischen Miasm durchdrungene Organismen, so viele verschiedene, oft dauernd, von innen und außen einwirkende Schädlichkeiten auch unzählbar verschiedene Mängel, Verderbnisse, Verstimmungen und Leiden hervorbringen, welche unter einer Menge eigner Namen fälschlich als für sich bestehende Krankheiten bisher in der alten Pathologie **
** Wie viel giebt es darin nicht mißbräuchliche, vieldeutige Namen, unter deren jedem man höchstverschiedene, oft nur in einem einzigen Symptome sich ähnelnde Krankheitszustände begreift, wie: kaltes Fieber, Gelbsucht, Wassersucht, Schwindsucht, Leucorrhöe, Hämorrhoiden, Rheumatism, Schlagfluß, Krämpfe, Hysterie, Hypochondrie, Melancholie, Manie, Bräune, Lähmung u.s.w., die man für sich gleichbleibende festständige Krankheiten ausgiebt und des Namens wegen, nach dem eingeführten, gewöhnlichen Leisten behandelt! Wie könnte man mit einem solchen Namen eine gleichartige, arzneiliche Behandlung rechtfertigen? Und soll die Cur nicht immer dieselbe sein, wozu dann der, gleiche Cur voraussetzende irre leitende, identische Name? „Nihil sane in artem medicam pestiferum magis unquam irrepsit malum, quam generalia quaedam nomina morbis imponere iisque aptare velle generalem quandam medicinam," spricht der so einsichtsvolle, als seines zarten Gewissens wegen verehrungswerthe HUXHAM (Op. phys. med. Tom. I.). Und eben so beklagt sich FRITZE (Annalen I. S. 80.) „daß man wesentlich verschiedene Krankheiten mit Einem Namen benenne." Selbst jene akuten Volkskrankheiten, welche sich wohl bei jeder einzelnen Epidemie durch einen eignen, uns unbekannt bleibenden Ansteckungsstoff fortpflanzen mögen, werden in der alten Arzneischule, als wären sie stets gleichartig wiederkehrende, schon bekannte, festständige Krankheiten, mit speciellen Namen, wie: Typhus- Spital-, oder Kerker-, Lager-, Faul-, typhöse Nerven-, oder Schleim-Fieber u.s.w., belegt, obgleich jede Epidemie solcher herumgehenden Fieber, sich jedesmal als eine andere, neue, nie ganz so dagewesene Krankheit auszeichnet, sehr abweichend in ihrem Verlaufe sowohl, als in mehreren der auffallendsten Symptome und ihrem ganzen jedesmaligen Verhalten. Jede ist allen vorhergegangenen, so oder so benannten Epidemien dergestalt unähnlich, daß man alle logische Genauigkeit in Begriffen verläugnen müßte, wenn man diesen, unter einander selbst so sehr abweichenden Seuchen, einen jener, in den Pathologien eingeführten Namen geben und sie dieser mißbräuchlichen Benennung gemäß, arzneilich überein behandeln wollte. Dieß sah bloß der redliche SYDENHAM ein, da er (Oper. Cap. 2. de morb. epid. S. 43.) darauf dringt, keine epidemische Krankheit für eine schon da gewesene zu halten und sie nach Art einer andern ärztlich zu behandeln, da sie doch alle, so viel ihrer nach und nach erschienen, von einander verschieden wären: animum admiratione percellit, quam discolor et sui plane dissimilis morborum epidemicorum facies; quae tam aperta horum morborum diversitas tum propriis ac sibi peculiaribus symptomatis tum etiam medendi ratione, quam hi ab illis disparem sibi vindicant, satis illucescit. Ex quibus constat, morbos epidemicos, utut externa quatantenus specie et symptomalis aliquot utrisque pariter convenire paullo incautioribus videantur, re tamen ipsa, si bene adverteris animum, alienac esse admodum indolis et distare ut aera lupinis.
Aus Allem diesen erhellet, daß diese nutzlosen und mißbräuchlichen Krankheitsnamen, keinen Einfluß auf die Curart eines ächten Heilkünstlers haben dürfen, welcher weiß, daß er die Krankheiten nicht nach der Namens-Aehnlichkeit eines einzelnen Symptoms, sondern nach dem ganzen Inbegriffe aller Zeichen des individuellen Zustandes, jedes einzelnen Kranken zu beurtheilen und zu heilen habe, dessen Leiden genau auszuspähen er die Pflicht hat, sie aber nie bloß hypothetisch voraussetzen darf.
Glaubt man aber dennoch zuweilen gewisser Krankheitsnamen zu bedürfen, um, wenn von einem Kranken die Rede ist, sich dem Volke in der Kürze verständlich zu machen, so bediene man sich derselben nur als Collectivnamen, und sage z. B.: der Kranke hat eine Art Veitstanz, eine Art von Wassersucht, eine Art von Nervenfieber, eine Art kalten Fiebers, nie aber (damit endlich einmal die Täuschung mit diesen Namen aufhöre): er hat den Veitstanz, das Nervenfieber, die Wassersucht, das kalte Fieber, da es doch gewiß keine festständigen, sich gleichbleibenden Krankheiten dieser und ähnlicher Namen giebt.
Letzte und nächste Einträge
- Grundlagen der neuen Therapie
- Unterschiede
- Gleiches mit gleichem
- §1 bis §17
- Die Therapie, die Homöopathie, die Allöopathie
- Die Homöopathie, die Allöopathie
- §82
- §84
- §87
- §90
- §93
Bitte beachten Sie:
Dies ist der Text eines Buches aus dem 19. Jahrhundert,
der teilweise überholte Heilmethoden erläutert.
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