§250
So, wenn dem scharfsichtigen, genau nach dem Krankheitszustande forschenden Heilkünstler, sich in dringenden Fällen schon nach Verlauf von 6, 8, 12 Stunden offenbarte, daß er bei der zuletzt gegebenen Arznei eine Mißwahl gethan, indem der Zustand des Kranken, unter Entstehung neuer Symptome und Beschwerden, sich deutlich von Stunde zu Stunde, obschon nur immer um etwas verschlimmert, ist es ihm nicht nur erlaubt, sondern die Pflicht gebeut es ihm, den begangenen Mißgriff durch Wahl und Reichung eines nicht bloß erträglich passenden, sondern dem gegenwärtigen Krankheits-Zustande möglichst angemessenen homöopathischen Heilmittels wieder gut zu machen (§. 167.).
§251
Es giebt einige Arzneien (z.B. Ignazsamen, auch wohl Zaunrebe und Wurzelsumach, zum Theil auch Belladonne), deren Veränderungskraft des Befindens der Menschen, größtentheils in Wechsel-Wirkungen - einer Art sich zum Theil entgegengesetzter Erstwirkungs-Symptome - besteht. Fände da, bei Verordnung einer derselben, nach strenger homöopathischer Wahl, der Heilkünstler dennoch keine Besserung, so wird er (in acuten Krankheiten, schon nach einigen Stunden) durch eine neue, eben so feine Gabe desselben Mittels, in den meisten Fällen, bald seinen Zweck erreichen *.
* Wie ich im Vorworte zum Ignazsamen (im zweiten Theile der reinen Arzneimittellehre) umständlicher angegeben habe.
§252
Fände man aber beim Gebrauche der übrigen Arzneien, daß in der chronischen Krankheit die bestens homöopathisch gewählte Arznei, in der angemessenen (kleinsten) Gabe, die Besserung nicht förderte, so ist dieß ein gewisses Zeichen, daß die, die Krankheit unterhaltende Ursache noch fortwährt und daß sich in der Lebensordnung des Kranken oder in seinen Umgebungen, ein Umstand befindet, welcher abgeschaltet werden muß, wenn die Heilung dauerhaft zu Stande kommen soll.
§253
Unter den Zeichen die in allen, vorzüglich in den schnell entstandenen (acuten) Krankheiten, einen kleinen, nicht jedermann sichtbaren Anfang von Besserung oder Verschlimmerung zeigen, ist der Zustand des Gemüths und des ganzen Benehmens des Kranken das sicherste und einleuchtendste. Im Falle des, auch noch so kleinen Anfanges von Besserung - eine größere Behaglichkeit, eine zunehmende Gelassenheit, Freiheit des Geistes, erhöhter Muth, eine Art wiederkehrender Natürlichkeit. Im Falle des, auch noch so kleinen Anfangs von Verschlimmerung aber, das Gegentheil- ein befangener, unbehülflicher, mehr Mitleid auf sich ziehender Zustand des Gemüthes, des Geistes, des ganzen Benehmens und aller Stellungen, Lagen und Verrichtungen, was bei genauer Aufmerksamkeit sich leicht sehen oder zeigen, nicht aber in Worten beschreiben läßt *.
* Die Besserungszeichen am Gemüthe und Geiste lassen sich aber nur dann bald nach dem Einnehmen der Arznei erwarten, wenn die Gabe gehörig (d. i. möglichst) klein war; eine unnöthig größere, selbst der homöopathisch passendsten Arznei, wirkt zu heftig und stört Geist und Gemüth anfänglich allzu sehr und allzu anhaltend, als daß man an dem Kranken die Besserung baId gewahr werden könnte; anderer Nachtheile (§. 276) allzu großer Gaben hier zu geschweigen. Hier bemerke ich, daß gegen diese so nöthige Regel, am meisten von dünkelhaften Anfängern in der Homöopathik und von den, aus der alten Schule zur homoopathischen Heilkunst übergehenden Aerzten gesündigt wird. Diese scheuen in solchen Fällen, aus alten Vorurtheilen, die kleinsten Gaben der höheren Dynamisationen der Arzneien und müssen so, die großen Vorzüge und Segnungen jenes, in tausend Erfahrungen heilsamst befundenen Verfahrens entbehren, können nicht leisten, was die ächte Homöopathik vermag, und gehen sich daher mit Unrecht für deren Schüler aus.
Letzte und nächste Einträge
Bitte beachten Sie:
Dies ist der Text eines Buches aus dem 19. Jahrhundert,
der teilweise überholte Heilmethoden erläutert.
Das Lesen dieser Seiten ersetzt keinen Arzt.
Sollten Sie an einer Krankheit leiden, wenden Sie sich
bitte an einen Arzt!